Mit 15 Monaten, nach einer Lungenentzündung, bekam Valentina Lukic einen Typ-1-Diabetes. Die 24-Jährige aus dem Raum Stuttgart kennt gar kein Leben ohne diese Erkrankung. Traubenzucker, Insulin, das Auf und Ab des Blutzuckerspiegels – all das sind seit Jahren ihre ständigen Begleiter. So auch während ihrer Schwangerschaft. Für die ausgebildete Kauffrau für Büromanagement und Influencerin war schon immer klar, dass sie irgendwann Kinder haben möchte – auch, wenn sie wusste, dass das mit Typ-1-Diabetes nicht ganz einfach werden würde. Trotz sehr großer Herausforderungen in der Schwangerschaft hat es geklappt. Seit Ende Februar 2024 ist Valentina glückliche Mutter einer gesunden Tochter.
Im Jahr 2022 heiratete Valentina ihren damaligen Freund. Danach war klar: Wir wollen Kinder. Und das am liebsten so schnell wie möglich. Aber das ist mit Typ-1-Diabetes nicht ganz so einfach. Auch das muss gut geplant werden. „Man soll vor der Schwangerschaft schon eine lange Phase einen niedrigen Langzeitzuckerwert haben. Das bedeutet, dass man vor einer Schwangerschaft den Wert eines Nicht-Diabetikers erreichen muss. Das ist normalerweise im Alltag kaum machbar. Deshalb muss das geplant werden. Sonst ist eine Schwangerschaft zu riskant“, weiß Valentina. Sie wurde von ihrer damaligen Diabetologin bereits im Jugendalter über die Situation aufgeklärt und wusste, was auf sie zukommen würde. Als der Kinderwunsch dann konkret wurde, ließ sie sich von ihrem Diabetologen und ihrer Frauenärztin genau beraten.
Ein gutes halbes Jahr hat es gedauert, bis dem Kinderwunsch endlich nichts mehr im Wege stand. Valentina war erfreut, aber auch etwas überrascht: „Der Arzt sagte mir am Anfang, dass ich etwa mindestens eineinhalb Jahre warten müsste, bis ich schwanger werden darf.“ Aber Valentina war sehr diszipliniert und hartnäckig. „Es war für mich nicht schwer, weil mein Kinderwunsch immer größer wurde und auch in meinem Umfeld immer mehr Freundinnen schwanger wurden“, erinnert sich die gebürtige Bietigheimerin.
Plötzlich schwanger
Dann kam die nächste Unsicherheit: Wie lange dauert es für Typ-1-Diabetikerinnen, schwanger zu werden? „Laut meines Arztes kann es mit Diabetes deutlich länger dauern“, erzählt Valentina. Aber auch da hatte sie Glück. Nur zwei Monate später wurde sie schwanger. Sie konnte es erst gar nicht glauben. Die Schwangerschaft wurde völlig unerwartet entdeckt. Wegen starker Unterleibsschmerzen mit Ohnmacht kam Valentina ins Krankenhaus. Sie hatte eine schwere Blasenentzündung. Bei den Untersuchungen wurde die Schwangerschaft für sie überraschend festgestellt.
Dann begann das erste Trimester der Schwangerschaft. Valentina informierte noch vor dem ersten Frauenarztbesuch ihren Diabetologen. Während der gesamten Schwangerschaft hatte sie regelmäßig Kontrolltermine bei ihrem Facharzt, aber durch ihre langjährige Erfahrung mit dem Diabetes musste sie nicht so engmaschig begleitet werden wie viele andere Diabetikerinnen. „Ich war mit der Kontrolle meines Blutzuckers und dem Essen am Anfang ganz besonders vorsichtig“ erinnert sie sich. Dann machte ihr in den ersten Wochen ein permanenter Unterzucker sehr zu schaffen. „Es war ein extrem heißer Sommer. Ich war die ganze Zeit nur noch am Essen und Trinken und benötigte plötzlich gar kein Insulin mehr. Die Insulinsensibilität steigt durch die Hormonveränderung zum Beginn der Schwangerschaft“, erinnert sich Valentina.
Dramatische Unterzuckerungen in der Frühschwangerschaft
Aber die ständige Unterzuckerung machte Valentina Angst. Ihr Nüchternblutzucker lag bei 80 mg/dl. Schon kleinste Bewegungen führten dazu, dass sie in den Unterzuckerbereich geriet. Sie erinnert sich an eine dramatische Situation im Urlaub: Nachdem sie ein paar Melonenstücke gegessen hatte und nur wenig Insulin spritzte, spürte sie, dass es ihr nicht gut ging, dass sie wieder in den Unterzuckerbereich kam. Sie nahm ein Stück Traubenzucker, aber das brachte nichts. Auch nach einem halben Liter Cola tat sich nichts. Valentinas Blutzuckerwert sank weiter auf 30 mg/dl ab.
„Ich fühlte mich, als ob ich einen Gehörschutz auf meinen Ohren hatte. Alles klang blechern und gedämpft. Einen Unterzuckerzustand kann man sich so vorstellen, wie ein dargestellter Drogenrausch in einem Film. Alles dreht sich plötzlich, alles bricht in sich zusammen. Als ob man gar nicht mehr bei sich wäre. Mir fällt es dann auch schwer zu sprechen. Und wenn ich in solchen Situationen noch meinen Blutzuckerspiegel auf dem Smartphone sehe, fange ich an zu weinen, weil ich große Angst bekomme“, erzählt Valentina. Sie aß einen Snickers-Schokoriegel und es passierte erstmal weiter nichts. Irgendwann kam Valentina ganz langsam auf einen stabilen Blutzuckerwert.
Bessere Werte durch weniger Stress
„In solchen Situationen ist natürlich die Angst sehr groß, dass dieser extreme Unterzucker dem Kind schadet oder ich es vielleicht sogar verliere. Ich war damals in der achten Woche schwanger und wusste natürlich, wie hoch das Risiko in den ersten zwölf Wochen ist“, sagt die Diabetikerin. Wie ist sie mit diesem Stress umgegangen? Valentina beschreibt sich als eher rationalen Menschen. Für sie war es wichtig, eine Lösung zu finden, die Situation besser in den Griff zu bekommen. Nach dem Urlaub stellte sie im Alltag fest, dass ihre Blutzuckerwerte vor allem unter der Woche besonders schlecht waren, am Wochenende hingegen hatte Valentina keine Probleme.
Ihr Diabetologe wies sie auf diese besondere Situation hin. „Als ich darüber nachdachte, was der Auslöser sein könnte, kam mir mein Job in den Sinn. Ich wollte nicht schon früher als nötig wegfallen und arbeiten, wie sonst auch. Das hat mich unterschwellig gestresst. Ich habe bewusst versucht, meine Schwangerschaft nicht zum Thema zu machen, was in meiner Situation mit der besonderen Kontrolle schwierig war. Ich konnte unter diesem Druck einfach nicht mehr weiterarbeiten. Das war für mich eine Stresssituation, die ich vorher gar nicht wahrgenommen habe“, erzählt die junge Mutter.
Ihr Diabetologe riet ihr, nicht mehr zu arbeiten und stimmte sich mit der Gynäkologin ab. Sie erteilte dann für Valentina ein Beschäftigungsverbot für die gesamte Schwangerschaft. Zu dem Zeitpunkt war Valentina im fünften Monat schwanger. „Zum Glück war damals trotz des Stresses alles gut. Das Baby war gesund. Bei der Feindiagnostik konnte man beim Baby nicht erkennen, dass es eine Mutter mit Diabetes hat“, berichtet Valentina. Sie rät anderen betroffenen Schwangeren dazu, kein schlechtes Gewissen zu haben, sich krankschreiben zu lassen. Nachdem sie ihren Arbeitgeber benachrichtigt hatte, stellte sich große Erleichterung ein. Die neue Situation wirkte sich auch auf den Verlauf ihres Blutzuckerwertes positiv aus.
Management des Blutzuckerwerts wird zum Fulltimejob
„Es war für mich viel einfacher meinen Blutzuckerwert zu managen, weil ich nicht mehr arbeiten musste“, erinnert sich die Diabetikerin. Ab der 20. Schwangerschaftswoche steigt laut Valentina die Insulinresistenz meistens an. Das war auch bei ihr der Fall. Essen, Insulin, Bewegung und die ständige Kontrolle, das alles in Einklang zu bekommen – das Management ihres Blutzuckerwertes wurde im weiteren Verlauf bis zum Ende der Schwangerschaft für Valentina zum Fulltimejob.
Hinzu kam das erschwerte Schlafen durch die Zunahme des Bauches. Die wechselnden Liegepositionen sorgten dafür, dass sich der Sensor nachts häufig meldete und einen Unterzucker anzeigte, weil Valentina auf dem Sensor lag und der Blutfluss dadurch gestört war. Es gab Nächte, in denen sie alle 15 Minuten von ihrem Sensor geweckt wurde. Ihr ganzer Alltag war nur noch am Diabetes ausgerichtet. „Ich bin zum Beispiel auf Geburtstage gegangen, habe nichts gegessen, an einem ruhigen Platz gesessen und mich nicht viel bewegt, damit der Blutzuckerwert stabil bleibt“, berichtet Valentina.
Mit eigenem Blog Erfahrungen teilen
Das ständige Diabetesmanagement wurde auch zu einer Belastungsprobe für die Beziehung. „Mein Mann ist weiterhin zur Arbeit gegangen und wenn er nach Hause kam, hatte ich kein anderes Thema als den Diabetes“, erinnert sich die junge Mutter. Sie fing dann an, auf einem eigenen Blog über ihre Schwangerschaft mit Typ-1-Diabetes zu schreiben, sprach in Podcasts über ihre Erfahrungen und teilte sie auf anderen Diabetesportalen. Sie wollte andere Frauen damit unterstützen, weil sie selbst keine detaillieren Informationen gefunden hatte.
Zum Ende der Schwangerschaft hatte das Insulin bei Valentina fast gar nicht mehr angeschlagen. Der Blutzuckerwert ging nach dem Essen erst nach unten und schellte dann nach oben bis auf Werte von 300 mg/dl. „Während der Schwangerschaft sollte man nicht über einen Wert von140 mg/dl kommen. Jede Stunde, die man über diesem Wert ist, birgt Risiken für das Baby“, erzählt Valentina. Sie turnte durch das Wohnzimmer, um den Wert wieder nach unten zu regulieren. Sie begann dann mit der sogenannten Louwen-Diät mit wenig Kohlenhydraten. Dann wurden die Werte besser, aber zum Ende der Schwangerschaft kamen auch die typischen Gelüste von Schwangeren auf bestimme Lebensmittel dazu.
Essensgelüste in der Weihnachtszeit
Trotz aller Disziplin gönnte sich Valentina auf dem Weihnachtsmarkt eine Bratwurst, was den Blutzuckerspiegel wieder in exorbitante Höhen trieb. Die Weihnachtszeit wurde für Valentina zur Qual. „Der Hunger und die Gelüste wurden größer als die Angst vor den Folgen für den Schwangerschaftsverlauf. Ich habe dann viel gegessen, aber konnte den Wert nicht mehr mit dem Insulin senken. Ich habe zum Teil nach jeder Mahlzeit Sport getrieben. Kurz vor der Entbindung sind mein Mann und ich noch sechs Kilometer gelaufen, damit ich wieder etwas essen kann“, erinnert sich Valentina. Trotz all der Strapazen und großen Herausforderungen war Valentina gerne schwanger. Die Vorfreude auf das Baby war einfach riesig. Und: Sie möchte auf jeden Fall wieder schwanger werden, vielleicht sogar noch dreimal.
Wie die Geburt verlaufen ist und wie Valentina die erste Zeit mit ihrem Baby erlebt habt, erfahrt Ihr in Kürze in Teil zwei.
Mehr über Valentina findet Ihr auf ihrem Social Media Kanal:
Instagram @style.inmysuitcase
Das Gespräch führte Tanja Reiners, reiners kommunikation, Stuttgart
Bildcredit: Anto Lukic Fotografie