Mit 21 Jahren erfuhr Jasmin Lehmann von ihrer Diagnose Typ-1-Diabetes. Für die Schweizerin aus Zürich war die erste große Sorge, ihr intensives Sportpensum einschränken zu müssen. Aber schnell war klar: Sie kann ihren Sport fortsetzen, wie gewohnt. Und nicht nur das: Sie zeigt, dass auch Tauchen, Bungeejumping oder eine Teilnahme bei Ninja Warrior mit Diabetes möglich ist. Die lebensfrohe 32-Jährige nutzt ihre eigene Erkrankung, um andere auf Social Media zu ermutigen, auch mit Diabetes ein abenteuerliches und intensives Leben zu führen – ohne dabei die eigene Gesundheit zu gefährden. Im Interview mit Sugar Eves erzählt sie, was alles mit Typ-1-Diabetes möglich ist und wie sie ihre eigenen Ängste überwunden hat.
Sugar Eves: Wie war es, als Du die Diagnose Typ-1-Diabetes mit 21 Jahren bekamst?
Jasmin: Ich bekam plötzlich ganz starken Durst, hatte sehr abgenommen. Da ich ausgebildete Medizinische Praxisassistentin und Pharma-Assistentin bin, kannte ich mich natürlich mit den Symptomen aus und habe mir gedacht, dass ich Diabetes habe. Natürlich war die Diagnose dann erstmal ein kurzer Schock. Am wichtigsten war für mich aber, dass ich mein Leben mit viel Sport nicht einschränken muss. Als für mich klar war, dass ich das alles weitermachen kann, war ich erleichtert.
Sugar Eves: Kennst Du die Ursachen für Deine Erkrankung?
Jasmin: Ich hatte mal Pfeiffersches Drüsenfieber, aber man kann nicht sagen, ob es einen Zusammenhang zum Diabetes gibt. In meiner Familie hat niemand Typ-1-Diabetes, auch meine Zwillingsschwester nicht.
Sugar Eves: Welches medizinische Equipment hast Du?
Jasmin: Ich arbeite seit fast zwei Jahren bei einem Hersteller für Insulinpumpen. Seitdem habe ich auch auf eine Pumpe umgestellt und bin damit sehr happy. Ich habe dadurch nicht mehr diese Ups und Downs, wie beim Insulinpen. Ich habe jetzt ein automatisches Korrektursystem. Außerdem verbringe ich jetzt viel weniger Zeit mit den Gedanken, ob ich zu hoch oder zu tief mit meinem Wert liege. Das hat viele Vorteile. Ich bin dadurch auch nicht mehr so abhängig von meinem Handy. Ich kann jetzt ohne mein Smartphone Joggen gehen, weil ich meine Werte auf dem Display der Pumpe ablesen kann. Man muss sich aber erstmal auch umstellen, die Pumpe direkt am Körper zu tragen.
Sugar Eves: Warum ist Sport so wichtig für Dich?
Jasmin: Meine Zwillingsschwester und ich hatten schon als Kinder immer sehr viel Energie. Unsere Eltern haben uns früh zum Geräteturnen geschickt. Das hat uns viel Freude gemacht. Wegen der Schule musste ich mal pausieren und merkte dann, wie sehr ich den Sport brauche. Ich fühle mich mit Sport mental stabiler und gesünder. Auch bei Diabetes hilft viel Bewegung. Dadurch wird die Insulinaufnahme besser, auch wenn man natürlich nicht gesund wird. Bei Extremsport ist es wichtig, das ärztlich begleiten zu lassen. Da spielt die Ernährung eine noch wichtigere Rolle, man muss alles gut planen.
Sugar Eves: Wie viel Sport machst Du?
Jasmin: Ich gehe dreimal die Woche ins Gym und klettern mit meiner Schwester und meinem Bruder.
Sugar Eves: Du liebst Herausforderungen, warum?
Jasmin: Ich bin neugierig auf das Leben, möchte viele tolle Erfahrungen machen, viel erleben. Ich möchte verschiedene Kulturen kennenlernen, um offen zu bleiben und mehr Verständnis für andere Menschen zu haben. Ich mache sehr viel mit meiner Zwillingsschwester zusammen. Wir schauen, dass wir uns zusammen immer wieder eine neue Herausforderung suchen.
Sugar Eves: Siehst Du Deinen Diabetes auch als Herausforderung?
Jasmin: Ich kam eigentlich von Anfang an ganz gut mit meinem Diabetes zurecht. Das Umfeld war eher die Herausforderung. In manchen Situationen fehlte früher manchmal das Verständnis, vor allem bei der Arbeit. Wenn ich mich beispielsweise mal hinsetzen musste, weil es mir gerade nicht so gut ging. Ich versuche das Beste aus der Erkrankung zu machen. In meinem aktuellen Job verstehen natürlich alle meine Situation. Da hat der Diabetes sogar Vorteile, wenn ich Events für andere Typ-1-Diabetiker organisiere. Da kann ich meine Erfahrungen weitergeben, mich mit Betroffenen austauschen. Das bringt uns gegenseitig weiter und viel Freude.
Sugar Eves: Was ist Deine Aufgabe in Deinem Job?
Jasmin: Ich weise Diabetiker in die Insulinpumpe ein, helfe ihnen bei der Einrichtung und Programmierung ihrer Pumpe und begleite sie so lange, bis sie sich sicher damit fühlen. Außerdem organisiere ich Events oder Sportveranstaltungen für Diabetiker.
Sugar Eves: Wie kamst Du zu Ninja Warrior?
Jasmin: Meine Zwillingsschwester und ich haben 2018 schon bei Ninja Warrior in der Schweiz mitgemacht und dann 2020 in Deutschland bei RTL. Wir waren sehr nervös, obwohl wir gut vorbereitet waren. Wir sind beide in der Vorrunde rausgefallen, aber es hat großen Spaß gemacht, und wir haben tolle Leute kennengelernt. Der Druck war recht groß für mich, darauf muss ich mich noch besser mental vorbereiten. Durch den psychischen Stress ging mein Blutzucker dann auch rauf und runter. Das Adrenalin treibt den Zuckerwert hoch. Dann muss man zusehen, dass man den wieder runterbekommt und nicht zu viel Insulin nimmt.
Sugar Eves: Apropos Stress: Du praktizierst seit 2019 intensiv Meditation. Hilft Dir das?
Jasmin: Seitdem ich das mache, merke ich, dass ich besser zur Ruhe komme, weniger Stress habe oder mich unter Druck setze. Die Meditation hilft, sich mehr zu fokussieren und besser zu entspannen. Diese Ruhe und das eigene innere Vertrauen wirken sich auch positiv auf den Blutzucker aus – es gibt dadurch einfach weniger Spitzen.
Sugar Eves: Du berichtest auf Social Media von Deinen spannenden Urlauben. Was sind die Herausforderungen, mit Diabetes auf große Reise zu gehen?
Jasmin: Das Equipment und die ganze Organisation. Man muss vorher genau planen, wie viel Insulin man mitnehmen muss, ob man es vor Ort auch kühl lagern kann und welches Insulin es zur Not auch im Ausland gibt. Man muss sich überlegen, ob man den Urlaub lieber mit dem Pen oder der Pumpe durchführen möchte. Der Pen nimmt nicht so viel Platz ein, wie die Pumpe. Wenn man die Insulinpumpe mitnimmt, dann braucht man eine Ersatzpumpe, falls sie auf der Reise kaputt geht.
Sugar Eves: Bei allem, was Du machst, ist Deine Message: Es geht auch mit Diabetes. Ob Surfen, Quad fahren durch Australien oder Ninja-Warrior. Wie wichtig ist es Dir, anderen Betroffenen zu zeigen, dass man auch mit der Erkrankung ein abenteuerliches und freies Leben führen kann?
Jasmin: Das ist mir sehr wichtig, das ist genau meine Message. Mit Diabetes ist alles möglich. Ich gehe auch Tauchen oder mache Bungeejumping. Das geht alles, man muss sich nur vorher erkundigen und gut vorbereiten. Bei vielen Leuten ist jedoch die Angst zu groß. Ich war früher immer sehr ängstlich, hatte extreme Platz- und Höhenangst und habe mich irgendwann mit 26 Jahren entschieden, mich nicht mehr von der Angst kontrollieren zu lassen. Durch das Meditieren habe ich gemerkt, dass sich die Angst nur im eigenen Kopf abspielt. Ich habe mich dann entschieden, Klettern zu gehen und Fahrstuhl zu fahren. Dabei habe ich einen kleinen Spiegel mitgenommen, sodass der Raum im Fahrstuhl größer wirkt. Neulich habe ich meine Schwester ins MRT begleitet und mich auch dort hineingelegt. Es war plötzlich kein Problem mehr für mich. Mit 29 Jahren habe ich mich entschieden, ganz allein zu reisen. Vorher war immer meine Zwillingsschwester dabei. Ohne meine Schwester, war das für mich eine riesige Herausforderung. Dieses Angsttraining hat mir auch im Umgang mit meinem Diabetes sehr geholfen.
Sugar Eves: Gibt es auch Dinge, die man mit Typ-1-Diabetes nicht machen kann?
Jasmin: Ich kann nicht Pilotin werden und vielleicht auch nicht alle Jobs bei der Polizei machen. Aber sonst geht fast alles. Beim Tauchen braucht man ein ärztliches Attest. Bei manchen Dingen kann man nicht so spontan sein. Wenn ich beispielsweise Joggen möchte, benötige ich eine gewisse Vorlaufzeit.
Sugar Eves: Wie schafft man diese Mischung aus Unbeschwertheit einerseits und Disziplin andererseits?
Jasmin: Es ist irgendwann wie beim Zähneputzen. Man macht das größtenteils alles automatisch. Es ist aber auch eine Einstellung. Man darf gar nicht erst hinterfragen, ob das mühsam ist. Und solange der Arzt bestätigt, dass die Werte alle in Ordnung sind, kann man seine Krankheit gut managen und seine Freiheiten auch genießen.
Sugar Eves: Bei allem, was Du machst, strahlst Du viel Lebensfreude und Optimismus aus. Woher kommt diese positive Haltung?
Jasmin: Wir haben diesen Optimismus alle in der Familie. Ich habe ein gutes Umfeld auch in meinem Freundeskreis. Bei uns sind alle sehr positiv, das ist ansteckend. Und es ist schön zu sehen, dass ich das weitergeben und andere motivieren kann.
Sugar Eves: Gibt es auch mal schwere Tage durch die Erkrankung?
Jasmin: Ja, ich hatte mit der Erkrankung auch schwierige Zeiten – vor allem wenn man doch mal im Alltag funktionieren muss, ist es eine Challenge, wenn der Zucker nicht mitspielt. Aber auch diese Zeiten waren eine Chance, sich weiterzuentwickeln. Veränderungen fallen mir manchmal schwer. Eine positive große Veränderung kam mit dem neuen Job. Ich habe meine Unsicherheiten einfach überwunden und eine Initiativbewerbung geschrieben. Und es hat geklappt. Mein Freund hat mich dabei auch sehr unterstützt.
Sugar Eves: Wie sieht Dein Notfallpaket aus?
Jasmin: Ich mag sehr gerne Orangensaft. Ich habe zu oft und zu lange Traubenzucker gegessen, das schmeckt mir nicht mehr. Ich versuche auf gesunde Lebensmittel im Notfall zurückzugreifen. Ich habe deshalb immer eine kleine Flasche Orangensaft in der Handtasche. Aber durch die Insulinpumpe komme ich selten in eine Hypo, einen Unterzucker. Die Pumpe bremst rechtzeitig ab. Als ich noch den Pen für die Insulinzufuhr benutzt habe, brauchte ich eher einen Notvorrat. Ich habe auch immer ein Nasenspray dabei, das mir im Notfall jemand verabreichen kann. Beim Joggen habe ich weiterhin Traubenzucker dabei und auch mein Freund hat immer Traubenzucker in seiner Tasche.
Sugar Eves: Spürst Du mittlerweile selbst, wo Du mit Deinem Zuckerwert stehst?
Jasmin: Ja, ich kann das mittlerweile aus dem eigenen Körpergefühl heraus sagen. Ich spüre mich Gott sei Dank sehr gut. Als der Sensor mal ausgefallen ist, habe ich selbst gefühlt, ob mein Blutzuckerwert zu hoch oder zu tief ist. Durch den Sport entwickelt man auch ein gutes Körpergefühl. Das ist für uns Diabetiker wichtig.
Sugar Eves: Gab es auch schon kritische Situationen mit Deinem Diabetes?
Jasmin: Ich hatte versehentlich mal zehn Einheiten anstatt zehn Gramm Kohlenhydrate eingestellt und bin dann ganz tief mit meinem Zuckerwert gefallen. Mein Freund war zum Glück bei mir und wir sind gleich ins Krankenhaus gefahren. Ich hatte Traubenzucker dabei, sodass ich nicht ganz untergetaucht bin. Aber ich konnte nicht mehr klar denken und war erschrocken, was das für eine stressige Situation ist, keine Kontrolle über meinen Körper zu haben.
Sugar Eves: Was ist das Wichtigste, um den Diabetes gut in den Griff zu bekommen?
Jasmin: Ein gutes Körpergefühl ist wichtig und der Wille, gesund zu leben. Und natürlich Sport, aber auch die mentale Gesundheit.
Sugar Eves: Was würdest Du anderen Betroffenen für ihr Leben mit Typ-1-Diabetes mitgeben?
Jasmin: Es ist ganz wichtig, dass man sich bei seinem Arzt oder Diabetologen gut aufgehoben fühlt, aber auch dass man sich selbst schlau macht über die Erkrankung. Ich schaue mir gerne Motivationsvideos von anderen Diabetikern an. Man sollte sich nicht in falschen Foren informieren oder an anderen Erkrankten, die einen runterziehen. Man sollte all das, was einem Freude macht, möglichst fortsetzen. Man muss aber auch Geduld haben. Es dauert ein bisschen, bis man die Zuckerwerte für sich im Griff hat. Es hilft, sich mit anderen Diabetikern zu vernetzen und auszutauschen. Zusammen mit den Swiss Diabetes Kids Schweiz organisieren wir bei der Arbeit beispielsweise Wochenenden für Familien oder auch Jugendliche.
Sugar Eves: Was ist Deine nächste Challenge?
Jasmin: Ich möchte privat andere Diabetiker noch mehr unterstützen, gemeinsam etwas mit ihnen machen, wie beispielsweise Wochenenden mit Meditation und Yoga, um die mentale Gesundheit und Psyche zu stärken. Die positive Haltung ist wichtig.
Mehr über Jasmin Lehmann findet Ihr auf ihren Social Media Kanälen:
YouTube @jasminlehmann3346
Instagram @jasmin_life_typ1
Das Interview führte Tanja Reiners, reiners kommunikation, Stuttgart
Bildcredit Surfen & Meditation: ©Jasmin Lehmann privat
Bildcredit Pumpe/Laufdress: ©Unanimous