Auf die Schule, fertig los!

In den ersten Bundesländern beginnen bald die Sommerferien. Für viele Kinder beginnt danach mit der Einschulung eine spannende Zeit. Doch auch für uns Eltern ist der Schulstart eine große Umstellung – besonders, wenn das Kind eine chronische Erkrankung wie Diabetes hat und auf einmal ein neuer Alltag zu organisieren ist. Die gute Nachricht: das ist alles machbar. Aber, und so ehrlich muss man auch sein: ein reibungsloser Schulstart für Kinder mit Diabetes erfordert etwas Vorbereitung und Zeit.

Wenn das eigene Kind Diabetes hat, ist man gewohnt, zu organisieren und zu planen – statt zu improvisieren. Da ist es hilfreich und auch beruhigend für die Eltern, wenn sich die Abläufe etwas eingespielt haben. Eine Aufgabe weniger! Deswegen wird bei Veränderungen auch sehr genau der Aufwand im Verhältnis zum Nutzen abgewogen – zumindest mache ist das zugegebenermaßen so. Und im Zweifel greift man auf Etabliertes zurück. Schließlich sind ohnehin schon genug Bälle in der Luft, die jongliert werden wollen. Wer braucht da noch einen zusätzlichen? Klingt nach Bequemlichkeit, ist aber tatsächlich auch stark an ein großes Sicherheitsbedürfnis und einen damit einhergehenden Pragmatismus geknüpft. Nur: der Schulstart des eigenen Kindes ist alternativlos und in jedem Fall Neuland. Und damit tauchten bei uns auch viele Fragen auf: Wie genau wird das Funktionieren? Wie viel Selbständigkeit unserer Tochter in der Therapie ist richtig und wichtig? Und wer kann unterstützen und damit den Alltag erleichtern?

Da jedes Kind wie auch jedes Umfeld an Lehrenden, Betreuenden und Aufsichtspersonen unterschiedlich ist, gibt es hier wie – so oft bei Diabetes – keine ultimativ richtige, für alle gleiche Lösung. Aber die Dinge, über die man sich vor dem Start in den neuen Alltag Gedanken machen sollte, sind für alle Eltern mehr oder weniger die gleichen. Deswegen möchte ich hier einige meiner Erfahrungen teilen, um anderen Eltern vielleicht etwas die Angst vor der Ungewissheit, welche die neue Situation mit sich bringt, zu nehmen.

Reden ist silber, verstehen ist gold

Rückblickend kann ich sagen: Der wichtigste Punkt nach der Diagnose war, die Schule und alle Betreuungspersonen bestmöglich zu informieren und ins Boot zu holen. Manche Personen hatten vorher noch keinerlei Kontakt zu Diabetes und waren entsprechend unsicher. Diese Personen bekommt man am besten auf seine Seite, wenn man sie zum einen mit Wissen ausstattet und zum anderen bei Rückfragen (fast) immer akut greifbar ist. Meine Message war stets: wir schaffen das zusammen, du & ich als Team. Dazu habe ich alle Beteiligten in Kleingruppen geschult, schriftliche Handouts mit den wichtigsten Informationen angefertigt und verteilt, gesammelte FAQs regelmäßig beantwortet und bin am Anfang auch punktuell im Schulalltag mitgelaufen – zum Beispiel beim Mittagessen. Dazu kam eine Diabetesberaterin aus dem Krankenhaus in die Klasse, um auch die Mitschüler:innen mit dem Thema vertraut zu machen. Auch einige Insulin- und Pumpenhersteller bieten strukturierte Schulungsprogramme an.

In unserem Fall haben wir von allen Seiten extrem große Unterstützung erfahren. Das ist nicht selbstverständlich, wie ich vom Austausch mit anderen betroffenen Eltern weiß. Gerade deshalb ist es wichtig, die Kontaktpersonen in der Schule für sich bzw. für die Unterstützung des Kindes zu gewinnen. Ich hatte immer im Kopf: Ich will etwas von denen, was sie streng genommen nicht machen müssen, was für sie Mehraufwand bedeutet und ihnen gefühlt eine große Verantwortung aufbürdet. Wie müsste man mich abholen, damit ich mich nicht überfordert fühle und gerne unterstütze? Und so bin ich auf die Leute zugegangen. Denn ein Inklusionshelfer:in war für uns von Anfang an keine Option, weil wir dem Diabetes unserer Tochter nicht so viel sichtbaren Raum geben, unsere Tochter nicht ausgrenzen wollten. Nach unserem Verständnis ist sie nicht behindert, auch wenn man einen Schwerbehinderungsgrad beantragen kann. Für uns ist sie ein ganz normales Kind, das nur in manchen Situationen Hilfe braucht. Zum Glück unterstützen uns Insulinpumpe und kontinuierliche Glukosemessung in vielen Bereichen sehr gut.

Wie sehr das Kind die Therapie in die eigene Hand nehmen kann und will hängt jeweils von Alter, Entwicklungsstand und Selbständigkeit ab. Zwar ist zukünftigen Erstklässlern:innen noch nicht durchgängig die Tragweite ihrer Entscheidungen bewusst. Dennoch haben wir die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, offen mit dem Kind in den Dialog zu gehen: Was würdest du gerne selbst übernehmen? Wo fühlst du du dich unsicher und möchtest Hilfe? Das heißt nicht, dass wir alles wie gewünscht ungefiltert übernommen haben. Aber wir haben zugehört, ein Gefühl für ihre Wünsche entwickeln, darauf basierend Entscheidungen getroffen, klare Regeln aufgestellt und sie emotional mitgenommen. So haben wir die Weichen erstmal bestmöglich gestellt.

Normal – gibt’s bei Diabetes eher selten

Eigentlich möchte man nicht daran denken, aber auch diese Situationen wollen geregelt sein: Was passiert in Ausnahmezuständen – also, wenn der Zucker durch die Decke geht oder in den Keller sinkt? Für unsere Tochter haben wir klare Vorgaben gemacht, bei welchen Werten wir spätestens angerufen werden möchten, um dann das weitere Vorgehen zu besprechen. So nimmt man Betreuungspersonen die Entscheidung, ob die jeweilige Situation eines Anrufs bedarf oder nicht und damit den Druck ab. Im Fall kritischer Werte kommen sie zudem nicht in überfordernde Entscheidungssituationen, denn die Therapieentscheidung treffen immer wir. Die Betreuungsperson hat die Rolle des Unterstützenden und trägt damit nicht die Last der Verantwortung. Wer auch innerhalb der Glukosegrenzwerte Rücksprache halten möchte, darf sich natürlich auch jederzeit bei uns melden.

Für kleinere Abweichungen von der Norm in Form von leichten Unterzuckerungen hat unsere Tochter immer eine Unterzuckerbox mit plakativ integriertem Korrekturschema und beschrifteten Süßigkeiten dabei. Über die Zeit haben wir gemerkt, dass der Inhalt nicht zu attraktiv sein darf – sonst wird die Box gerne mal in der Klasse rumgereicht und bei Bedarf ist dann schlechtesten Falls nichts mehr da.

Im Fall einer dennoch auftretenden Hypoglykämie haben Betreuungspersonen unsere Erfahrung nach deutlich weniger Berührungsängste mit Nasenspray als mit einer Notfallspritze. Das Spray verbleibt in unserem Fall im Klassenzimmer, also an einem festen Ort, damit alle im Fall der Fälle wissen, wo es zu finden ist. Bei einem weitläufigen Schulgelände ist es durchaus sinnvoll, ein zweites Spray an einem anderen Ort, z.B. der Turnhalle, zu platzieren.

Auch zum Hypo-Handling sollte unbedingt eine Schulung erfolgen – die Aufregung des Ernstfalls sorgt ohnehin für genügen Unsicherheit. Da sollte der Umgang mit dem Nasenspray oder der Spitze idealerweise sitzen. Wenn sich nicht alle Betreuungspersonen dazu bereiterklären, im Notfall zu helfen, so findet man zumindest vielleicht einige unter ihnen, die es sich zutrauen. In manchen Schulen gibt es auch eine Schulkrankenschwester, die hier helfen kann.

Natürlich wünscht man sich manchmal, gerade auch in neuen, herausfordernden Situationen den Diabetes weg. Ich würde lügen, wenn ich etwas anderes sagen würde. Gerade in Bezug auf die Grundschule habe ich mir häufig einfach nur Normalität gewünscht. Andererseits bringt die Krankheit einen auch näher zusammen. In der Familie, in der man als Team die Krankheit in den Alltag integriert. Und auch mit den Betreuungspersonen wächst man ganz anders zusammen, indem man mit ihnen als Team die Herausforderungen meistert. Man lernt strukturiert zu sein, Menschen für eine Sache zu begeistern, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen und bleibt flexibel. Und das hilft einem im Leben auch jenseits des Diabetes.

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