Beate Platl war gerade mal vier Jahre alt, als sie die Diagnose Typ-1-Diabetes erhält. In ihrer Erinnerung gibt es gar kein Leben ohne Diabetes. Die Ursache für die Erkrankung ist bis heute unklar. Eine familiäre Belastung gibt es nicht. Beate ist heute 41 Jahre alt und lebt mit ihrem zwölfjährigen Sohn und ihrem Mann in Bayreuth. Als Einzelhandelskauffrau und Wirtschaftsfachwirtin arbeitet sie halbtags in der Stadtverwaltung. Auf ihrem Blog chronischhochdrei.com schreibt sie seit 2017 über ihr Leben und ihre Erkrankungen.
Beate leidet nicht nur unter Typ-1-Diabetes, sondern unter zwei weiteren Autoimmunerkrankungen: Ende der neunziger Jahre erhielt sie die Diagnose Hashimoto, 2007 kam Multiple Sklerose dazu. Ein Leben mit drei chronischen Erkrankungen, das Auf und Ab mit Blutzuckerwerten und MS-Schüben – all das gehört zu Beates Alltag.
„Leben ist, was Du draus machst“ steht als Botschaft auf ihrem Twitter-Account. Dieser Satz ist mittlerweile zu Beates Lebensphilosophie geworden. „Kein Mensch weiß, ob er wirklich gesund ist. Man kann den Menschen nur auf die Stirn gucken, aber nicht in ihn hineinschauen“, sagt Beate. Der frühe Umgang mit der Diabetes-Erkrankung hat ihr auch bei den beiden weiteren Diagnosen geholfen. Sie musste früh lernen, sich um sich selbst zu kümmern, auf sich zu achten, aber auch zu verzichten.
Sie erzählt, wie sie auf einem Dorf groß geworden ist. „Ich war eine echte Rebellin als Kind“, erinnert sich Beate. Ihre Eltern waren voller Unsicherheit mit ihrem kranken Kind. Es war ein Leben mit Diabetes ohne Insulinpumpe, ohne Handy und permanentem Zugriff auf die Blutzuckerwerte – ein Leben voller Angst und Kontrolle. „Ich wurde durch den Diabetes überbehütet und sehr reglementiert. Das hat mich bis heute enorm geprägt“, erzählt sie.
Sie erinnert sich, wie sie als Teenagerin für eine Nacht mit ihren Freundinnen und Freunden im Dorf zelten wollte und bereits um Mitternacht wieder zuhause sein musste. Wie sie ihr eigenes Essen zum Kindergeburtstag mitbringen musste oder nicht einfach mit dem Fahrrad alleine zum Schwimmen fahren durfte. „Ich fühlte mich unfrei. Ich hatte immer das Gefühl, meine Eltern trauen mir nichts zu“, erinnert sich Beate. Dabei wollte sie einfach nur so sein, wie die anderen, ihr Leben genießen und die Welt auf eigene Faust entdecken. „Es gab sehr viel Zoff zwischen meinen Eltern und mir“, erzählt Beate. Am Ende habe sie das aber alles doch stärker und kämpferischer gemacht.
Das Gefühl des fehlenden Vertrauens hat sie tief geprägt. Es beschäftigt sie bis heute. Intensive Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter haben geholfen, die Beziehung zu verbessern. Beate ist eine sehr reflektierte Frau. Ängste, wie die ihrer Mutter, kennt sie nicht. An sich zu arbeiten, stetig weiterzukommen – das ist für sie ganz wichtig. Als Beate später selber Mutter wurde, hat sie sich fest vorgenommen, es anders zu machen: „Ich habe erlebt, wie wichtig es ist loszulassen und Vertrauen ins eigene Kind zu haben.“
Heute lebt sie ein zufriedenes Leben, auch wenn das immer wieder eine Herausforderung ist und sie intensiv daran arbeitet. Ihre Familie ist für sie das Wichtigste im Leben. Und welche der Erkrankungen beschäftigt sie gerade am meisten? „Momentan habe ich mehr mit dem Diabetes zu tun, die MS läuft eher nebenher.“ Ihre Blutwerte sind momentan nicht optimal, sie vermutet einen Eisenmangel, weil sie seit einigen Jahren Vegetarierin ist. „Ich habe mich in den vergangenen Monaten zu wenig um meine Gesundheit gekümmert“, sagt Beate. Das ständige Management von Blutwerten, Ernährung und Bewegung bleibt eine Herausforderung im Alltag zwischen Familie, Job und drei chronischen Erkrankungen. Manchmal kümmert sich Beate einfach lieber um andere, als um sich selbst.
Seit rund drei Jahren hat Beate eine Dana-i Insulinpumpe. Ihr Handy trackt den ganzen Tag die Blutzuckerwerte über einen Sensor. Beide Systeme sind aktuell noch getrennt voneinander. In den nächsten zwei Jahren möchte sich Beate einen Loop zulegen, damit alles von selbst läuft. Eigentlich müsste sie mal wieder ihre nächtlichen Werte überprüfen und „blutig messen“, wie sie sagt, um zu schauen, ob die Werte mit den gemessenen Daten übereinstimmen, aber auch das benötigt Zeit. Die fehlt manchmal im Alltag – es ist immer wieder ein Kampf um Motivation und Energie.
Und dennoch schafft Beate es mit ihrer optimistischen Haltung zum Leben immer wieder sich aufzuraffen, die Situation anzunehmen. „Ich bin anders gesund als andere“, sagt sie. Für sie bedeutet das, dass man sich gut fühlt – ohne größere Beschwerden. Auch wenn es keinen Sinn in der Erkrankung gibt, versucht sie immer wieder auch auf die positiven Seiten zu schauen. „Solche Erfahrungen fordern einen menschlich ganz anders heraus“, weiß Beate. „Das Leben ist noch einmal viel wertvoller, wenn man mit einer Erkrankung leben muss.“
Auch ihren Sohn beschäftigen die Krankheiten seiner Mutter mit zunehmendem Alter. Wenn Beate mal schlechte Laune hat, dann fordert er sie auch schon mal auf, ihre Werte zu checken. Auf seinem Gymnasium hat er sich gerade für einen Sanitäterkurs angemeldet. „Ich bin mir nicht sicher, ob er das auch für mich getan hat, um mich im Notfall retten zu können“, sagt sie.
In richtige brenzlige Situationen ist Beate mit ihrem Typ-1-Diabetes erst einmal in ihrem Leben gekommen. Beim Pizza backen mit ihrer Familie geriet sie plötzlich in einen Zustand von Unterzuckerung. „Ich kniete vor dem Pizzaofen und war ganz durcheinander im Kopf. Ich sah plötzlich den Handschuh an meiner Hand brennen, obwohl gar nichts passiert ist. Mein Mann hat sofort verstanden, was los ist und mir eine Cola eingeflößt. Dann war es besser. Mein Sohn war erschrocken und hat geweint. Solche Situationen rütteln einen auf“, erzählt Beate. Beim Diabetes komme es manchmal auf die Minute an. „Man muss schon gucken, dass der Wert halbwegs geradeaus läuft, aber es gibt natürlich Kurven – da ist immer Berg und Tal. Es darf aber nicht zu viel Berg und nicht zu viel Tal sein. Ausreißer hat man natürlich immer, alleine während der Periode merke ich, wie der Blutzucker verrücktspielt“, erklärt Beate.
Und was würde sie anderen Frauen raten, die eine belastende Diagnose erhalten? „Bei der MS hat es mir geholfen, mir Zeit zu nehmen, um die Diagnose zu verarbeiten. Beim Diabetes braucht man erstmal einen Notfallplan. Und je nachdem wonach einem ist, sich Unterstützung holen und mit anderen reden.“ Der Blog chronschhochdrei.com ist für sie auch ein wichtiges Projekt, sich mit anderen auszutauschen und ihre Erfahrungen zu teilen. Das gibt ihr Kraft und das Gefühl, nicht alleine zu sein.
©Beate Platl